"Einfach machen"

Wir haben Rebecca Rippold, Produktentwicklerin bei Mein Grundeinkommen über New Work & New Leadership interviewt. Sie spricht über Achtsamkeit, Wut, Angst & warum einfach mal loszulegen ziemlich cool ist.

Mein Grundeinkommen findet heraus, was ein Bedingungsloses Grundeinkommen mit Menschen macht. Seit 2014 sind über 1,8 Millionen Euro an Spenden zusammen gekommen. Damit wurde über 700 Menschen ein Jahr lang ein monatliches Grundeinkommen von 1 000 Euro ermöglicht.

Name: Rebecca Rippold
Organisation: Mein Grundeinkommen e. V.
Position: Produktentwicklerin
Da seit: Januar 2016

Wie beschreibst du die Führungskultur bei Mein Grundeinkommen? Habt ihr ein bestimmtes System implementiert?

Wir arbeiten seit 2019 mit Holacracy, der Holokratie. Das bedeutet, dass alle Menschen in führenden und folgenden Rollen sind. Als Führende habe ich bestimmte Domänen und bestimmte Verantwortlichkeiten und kann über meine Aufgaben frei entscheiden. Ich muss mir jedoch vorher genug Informationen holen, damit ich diese Entscheidungen gut treffen kann. Uns ist es wichtig, dass es keine Ego-Show wird und sich Führende vorab gut informieren. Sie dürfen dann einfach entscheiden und die Folgenden gehen mit diesen Entscheidungen mit. Was natürlich nicht immer einfach ist.

Wie tragt ihr Konflikte aus?

Ich erinnere mich, dass wir früher Konflikte sehr „öffentlich“ ausgetragen haben. Über Slack unserem Groll Luft gemacht haben. Und das war aus heutiger Sicht auch ein bisschen feige und wenig reflektiert, Dinge einfach so in den Raum zu stellen. Ich glaube wir haben gelernt, wie gut und befreiend es ist, nicht das ganze Team zu involvieren, sondern konkrete Spannungsträger zu benennen, die für ihre Spannungen auch Verantwortung übernehmen. Wir kontrollieren uns mehr dabei, das heißt wenn jemand in Slack seinen oder ihren Groll los wird, dann gibt es jetzt immer jemanden, der oder die darunter schreibt „Bitte tragt das unter euch aus, nicht öffentlich.“ Das ist befreiend für mich, das fühlt sich gut an. Es geht nicht darum, immer alles richtig zu machen, aber wir kontrollieren uns da stärker, es gibt eine Art Teamregulation.

Was glaubst du ist zentral, damit deine Mitarbeitenden dir gut folgen können?

Es ist mir wichtig, mich einerseits gut zu informieren und andererseits die involvierten Personen mitzunehmen und ihnen zuzuhören. Ich möchte einen Raum öffnen, in dem Fragen gestellt werden können. Dazu muss ich natürlich auch wissen: Was funktioniert bei uns? Bevor ich eine Entscheidung fälle, analysiere ich erst einmal: Wen betrifft das besonders und mit denen spreche ich dann. Vor allem wenn es Entscheidungen betrifft, durch die sich Prozesse verändern oder bei denen Menschen ihre Arbeitsweise ändern müssen. Das geht nicht einfach so. Und dennoch: Ich übe mich auch darin, weniger Angst davor zu haben, komplexe Entscheidungen zu treffen.

Wann verlierst du beim Führen deine Gelassenheit?

Wenn ich spüre, dass Kritik und Unmut in der Luft liegt und ich nicht genau weiß, wo das herkommt. Wenn es keinen direkten Austausch in dem Moment gibt, dann stresst mich das. Oder wenn ich das Gefühl habe, ich bin in die Verantwortung gegangen; ich habe eine gute, informierte Entscheidung getroffen und es kommt eher Gemeckere als Dankbarkeit danach. Dann fühlt sich das nicht mehr wie Teamwork an und dann fühle ich mich als Führende nicht wertgeschätzt. Und ich verliere meine Gelassenheit, wenn ich denke, ich bin jetzt in der Rolle zu führen und glaube aber, dass vom Skillset her eigentlich jemand anderes geeigneter wäre. Dann werde ich unsicher, weil ich formal trotzdem in der Entscheidungsrolle bin. Und ich habe die Tendenz ein bisschen ängstlich zu werden.

Was hilft dir dann dabei, deine Gelassenheit wiederzufinden?

Ich versuche mich darin zu üben mir zu sagen, „Ich darf für eine informierte Entscheidung, den Menschen, der dieses Wissen hat, einfach fragen und dann treffe trotzdem ICH die Entscheidung.“ Also um Hilfe zu bitten, auch wenn ich in der Führung bin.

Ein Riesenthema, das kommt uns immer wieder unter: als Führende*r um Hilfe bitten.

Ja, genau. Es gibt da eine Zurückhaltung von mir, weil ich, wenn ich um Hilfe bitte, die Zeit der anderen in Anspruch nehme, die ja selbst ihre ganzen Verantwortlichkeiten haben. In der Realität bekomme ich aber, wenn ich um Hilfe bitte, meistens positives Feedback. Und doch ist vorher so eine Angst da, andere zu stressen. Wir bei Mein Grundeinkommen üben das aber auch zu sagen, wenn es uns gerade nicht passt. Und die andere Sache ist, wenn ich mir wirklich Mühe gebe und es kommt keine Dankbarkeit zurück, dann thematisiere ich das. Dann sage ich, „Ich bin gerade demotiviert, wie geht es euch damit? Was steckt dahinter? Hat das was mit mir zu tun oder mit etwas ganz anderem?“ Das erfordert immer wieder Mut und auch das ist eine Übungssache.

Ja, das klingt immer so einfach: „Ich geh dann hin und spreche das an.“ Und damit zeigst du dich und du machst dich verletzlich. Wie gelingt dir das?

Also, erstens: es gelingt mir nicht immer (lacht). Und dann helfen mir dabei zwei Sachen: Wir haben ja ein Companion-System, jede*r hat Companions, eine*r davon ist der Buddy-Companion. Ich treffe mich einmal im Monat mit meiner Buddy-Companion zum Mittagessen und da können wir ansprechen, womit wir unzufrieden sind. Dort bekomme ich Unterstützung und kann besprechen, was der nächste Schritt sein könnte, wie ich mir Hilfe holen kann. Oder ich bekomme mal einen Tipp. Es hilft, die Außenperspektive einzunehmen und zu merken, ach, das ist ja alles nicht so schlimm. Ganz alleine für mich, wenn ich niemanden hätte, würde ich das nicht immer schaffen. Und das zweite, was mir hilft, ist, wenn etwas einen so kritischen Punkt erreicht, dass ich wütend werde. Denn wenn die Wut einsetzt, dann verliere ich meine Zurückhaltung. Die Wut hilft mir, aktiv zu werden.

Wut als ein Zeichen von Dringlichkeit, als eine Art Hilfestellung?
Ja, dann bin ich manchmal schon dabei, der betreffenden Person zu schreiben, doch dann halte ich inne und reflektiere „ Moment, das ist jetzt der ganz falsche Weg“. Und wenn ich schon so weit bin, dann ist das der richtige Zeitpunkt, direkt zu der Person zu gehen und persönlich und in Ruhe miteinander zu sprechen.


Welchen Ratschlag würdest du einem Team geben, das gerne mit flachen Hierarchien und integrativer Entscheidungsfindung arbeiten möchte?


Seid achtsam und geduldig mit euch selbst. Und unterstützt euch emotional dabei. Macht das nicht nur aus dem Effizienzgedanken heraus, sondern auch weil ihr als Menschen besser miteinander arbeiten wollt.


Was waren Schlüsselerlebnisse, die deinen Bezug zum Thema Führen geprägt haben?

Als ich bei Mein Grundeinkommen angefangen habe, gab es noch ganz andere Strukturen, drei Personen, die implizit geführt haben. Ich habe mich die ganze Zeit als Folgende betrachtet. Und dann gab es einen Punkt, an dem ich gemerkt habe, dass wir kein gut funktionierendes Entwicklerteam haben. Und es schien auch niemanden zu geben, der*dem es so wichtig war wie mir, funktionierende Prozesse und Strukturen aufzusetzen. Ich wusste, ich habe die Freiheit und es gibt den Bedarf, was aufzubauen und dann habe ich das einfach gemacht. Einfach machen; das hat mich sehr darin bestärkt in Führung zu gehen. Es war nicht leicht, ich habe viel ausprobiert und ich war noch nicht mal die Person, die die meiste Erfahrung damit hatte. Ich spüre aber jetzt noch ganz viel Dankbarkeit vom Team dafür, dass ich das damals angegangen bin. Das wird immer mal wieder thematisiert. Das hat mir Selbstbewusstsein gegeben.

Welche Probleme und Fragen sind dir beim Thema Führen begegnet? Und wie hast du sie gelöst?

Eine Verknüpfung mit dem Thema Übergriffigkeit. Eine Angst davor, dass wenn ich jetzt etwas entscheide, was auch andere betrifft, dass es sie negativ beeinflussen kann. Das ist immer wieder ein Thema das aufkommt. Ich frage mich, mit welchem Recht entscheide ich etwas?

Da sehe ich auch eine Tendenz, dass das gegendert ist, diese Unsicherheit „Wer gibt mir das recht, Leuten zu sagen wo es langgehen soll?“. Dass das etwas ist, was vielen Frauen schwer fällt.
Ja, ganz klar. ich mag zwar kein Schubladendenken, aber ich nehme das auch so wahr Als ich aufgewachsen bin, waren die Personen, die Autorität ausgeübt haben, eindeutig männlich.

Was war der Grund für euch, neue Wege von Führen und Folgen auszuprobieren?

Es gab immer Menschen, die Probleme gesehen haben und in Verantwortung gegangen sind, ohne dass sie ein Mandat dafür bekommen haben. Und diese Menschen haben sich dann oft nicht gut dabei gefühlt, diese Verantwortung zu übernehmen. Sie haben keine Unterstützung erfahren, es wurde viel gemeckert und dabei haben wir auch Menschen verbrannt, leider. Das war eine schmerzhafte Erfahrung. Und die andere Erfahrung war: Wenn nicht klar definiert ist, wer was macht, dann bleiben Dinge liegen. Das war irgendwann problematisch für die ganze Organisation. Wir kamen aus diesem Schöne-Welt-Denken: „Es wird schon immer jemand geben, für jede Aufgabe.“ Das ist aber nicht wahr – manche Aufgaben macht einfach niemand gern. Wir haben dann allerdings auch festgestellt, dass es etwas mit den Rahmenbedingungen der Aufgabe zu tun hat, ob sie jemand machen möchte oder nicht.

Wo siehst du aktuell die größten Herausforderungen, wenn es um die Frage nach New Leadership, New Work, flache Hierarchien geht, in Bezug auf Führung?

Die größte Herausforderung ist meiner Meinung nach, dass das etwas ist, was die meisten von uns nicht gelernt haben, als sie aufgewachsen sind. Dass es eine neue Generation braucht, die erst lernt, wie das geht. Und dass wir Schwarz-Weiß-Denken mögen, wir wollen das Dinge richtig oder falsch sind, dass man sie so oder so macht. Aber das ist natürlich nicht so. Wir müssen uns mehr trauen, unsere Gefühle zu zeigen. Miteinander gut in Kontakt gehen, über unsere Hemmschwellen gehen. Da müssen wir alle, glaube ich, noch viel lernen. Wenn man das erst mal zulässt, dann wird die Welt schnell komplex und man braucht viel Geduld miteinander. Es braucht Zeit und auch den Willen, sich mit sich selbst zu beschäftigen und mit seinen Mustern. Das Einführen von integrativen Entscheidungsfindungen sollte klassischer Weise von der Managementebene ausgehen – wenn die Führenden nicht bereit sind zu folgen, dann wird das nicht gehen. Die Manager*innen müssen sich als erstes verändern, damit es funktionieren kann.