"Ich nenne mein System eine Öko-Moral-Diktatur”

Mit Milena Glimbovski setzen wir unsere Interviewreihe zu New Work fort. Milena hat 2014 Original Unverpackt eröffnet. Sie hat uns erzählt, warum sie nie schreit, keine Deadlines setzt und warum Vorleben für sie das A und O guter Führung ist.

Milena hat 2014 Original Unverpackt eröffnet, den bundesweit ersten Supermarkt der ohne Einweg-Verpackungen auskommt. Inzwischen hat sie ein Buch darüber geschrieben, Ohne Wenn und Abfall. Sie tritt international als Rednerin zum Thema Zero Waste auf und wurde 2018 als Berliner Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet.

Name:              Milena Glimbovski
Organisation:   Original Unverpackt
Position:          Gründerin / Geschäftsführerin
Da seit:            2014

Wie beschreibst du die Führungskultur bei Original Unverpackt? Habt ihr ein bestimmtes System implementiert?
Ich nenne mein System eine Öko-Moral-Diktatur, die wir in unserem Unternehmen leben. Ich nehme mir als Unternehmerin raus, das letzte Wort zu haben. Weil ich das Unternehmen gegründet habe und das Risiko trage. Das heißt nicht, dass andere nicht auch mitreden können, und das wird auch getan.

Im Prinzip ist mein Führungsstil so, dass ich sage, mein Job als Geschäftsführerin ist es den Leuten zu ermöglichen ihren Job zu machen. Sie wissen am besten, was es braucht. Wenn also eine Fragestellung entsteht oder irgendwas passieren soll, dann bitte ich die jeweilige Person, die es betrifft, vorzubereiten, was zu tun ist und eine Empfehlung auszusprechen. Und dann gebe ich meinen Segen ab. Also im Prinzip ist das was ich mache, absegnen. Viel Selbstverantwortung. Ich interveniere selten, nur bei der Jahresstrategie oder beim Quartalsmeeting, da habe ich im Blick, dass wir auf Linie bleiben und Innovationen einbringen.

Wie tragt ihr eure Konflikte aus?  
Gute Frage, ich finde diese Frage müsste man eher Arbeitnehmern stellen. Es gibt schon Konflikte, die nicht angesprochen werden. Gerade wenn Leute neu sind. Die brauchen dann eine Weile um zu merken, dass sie Themen entspannt ansprechen können. Uns fehlt aber noch ein System interner Feedbacks wo auch Platz für Kritik wäre. Generell: Wenn ich Feedback oder Kritik bekomme, nehme ich das an, bedanke mich und habe eine gute Art damit umzugehen. Ich hoffe, dass das auf die anderen überspringt. Aber klar, das ist auch eine Frage der Persönlichkeit. Und: ich kenne meine Schwächen und gehe damit offensiv um und man darf mich darauf auch ansprechen.

Ich lebe das mit der Kritik so vor, dass man sie mir sagen kann und ich denke, dass das auf alle anderen abfärbt.

Wie stellst du sicher, dass die Mitarbeitenden, die viel Autonomie haben, auch so handeln, dass es der Vision deines Unternehmen entspricht?
Ich stelle nur Leute ein, die unsere Vision teilen, denen die Werte Umweltschutz, und nachhaltiger Konsum wichtig sind. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist das kein langer Fit. In unseren Bewerbungen gibt es auch erst mal eine halbe Seite "Fan-Brief" an OU: Was sie an uns toll finden und wie sie selbst nachhaltig leben.
Wir hatten in den letzten Jahren nur einen einzigen Mitarbeiter eingestellt, der nicht von den Werten her gepasst hat, dessen seltene Fachexpertise wir aber gebraucht haben. Wir haben, im Gegenteil, oft Leuten eine Chance gegeben, die von den Werten zu uns gepasst haben, aber nicht perfekt vom fachlichen Profil. Werte kann ich nicht beibringen, Wissen schon.

 

Was glaubst du ist zentral, damit deine Mitarbeitenden dir gut folgen können?
Dass ich meinen Mitarbeitenden vertraue, ich versuche sie als ganze Menschen zu sehen. Dass ich unsere Werte vorlebe. Wir haben jetzt einen neuen Mitarbeiter, der mir am Wochenende auf Slack geschrieben hat mit „Tschuldige, dass ich nicht schon vorher geantwortet habe". Da habe ich ihm geschrieben: „Hey, warum antwortest du mir an einem Wochenende? Mach Pause, Montag ist auch noch Zeit“. Also wirklich proaktiv nicht nur zu sagen, am Wochenende wird nicht gearbeitet, sondern es selbst auch nicht zu tun und auch Leute darauf hinzuweisen und das selbst auch zu machen. Ein anderes Beispiel: Wir schicken Leute nach Hause, wenn sie krank zur Arbeit gehen.

 Was ich nicht mache, weil ich das selbst auch nicht kann, ist Deadlines zu setzen. Ich gebe einen Projektzeitraum vor. Das passt auch besser zu uns, bei OU arbeiten viele Mütter, und dementsprechend eben auch immer wieder kranke Mütter, wegen kranker Kinder. Ich selbst bin auch viel krank, ich hab ein schwaches Immunsystem. So ist eben das Leben. Wir richten bei Projekten nicht nur einen Puffer ein, sondern wir versuchen wirklich Verständnis füreinander zu haben, wenn Sachen nicht wie geplant passieren. Also ganz wichtig: Wir haben Vertrauen und Verständnis. Und das mit dem Verständnis ist mir persönlich ganz wichtig, weil ich früher, immer wenn ich krank war, und ich war einfach viel krank, nie Verständnis erfahren habe, sondern Misstrauen. Das Vertrauen zueinander bei uns im Team, das ist toll.

Und klar gibt es Sachen, da muss es laufen. Wie die Eröffnung von einem neuen Laden. Da haben wir eine Deadline.

 

Gibt es Momente wo du deine Gelassenheit verlierst?
Ja, wenn ich das dritte Mal für eine Sache anfragen muss – und ich habe wirklich für fast alles Verständnis. Zum Beispiel meine Nanny ist über die Firma angestellt und wir haben jetzt zum dritten Mal ihr Gehalt nicht pünktlich bezahlt. Das ist peinlich. Also wenn die Leute nichts draus lernen oder sie es nicht umsetzen und das öfter passiert, spätestens beim dritten Mal, bin ich wirklich sauer und frag dann auch mit einem anderen Ton.

 

Und wie machst du das dann, dass du Deine Gelassenheit wieder gewinnst?
Kurz durchatmen. Wenn ich merke, ich bin wütend, eine Nachricht nicht gleich abschicken, vielleicht auch gar nicht abschicken, sondern nur schreiben und dann baldmöglichst mit der Person direkt sprechen. Also, es ist schon wichtig, dass ich meinen Ärger bewusst ableite – aber es muss nicht direkt an die Person sein, die es betrifft. Ich versuche das nicht auf die Mitarbeiter loszulassen, das ist keine schöne Art und so etwas mag ich nicht. Ich habe noch nie jemanden angeschrien.

 

Wenn dir jetzt jemand gegenüber säße, der oder die jetzt gerade anfängt ein Unternehmen / eine Organisation aufzubauen, die mit flachen Hierarchien oder integrativer Entscheidungsfindung arbeitet, was für Ratschläge würdest du der Person mitgeben?
Verantwortlichkeiten für die einzelnen Bereiche klären und aufschreiben. Egal, wie man strukturiert ist, irgendjemand muss immer die Verantwortung tragen. Detailgenau definieren, wie diese Verantwortung aussieht. Auch die Erwartungshaltungen an diese Aufgaben, sowohl von Seiten der Arbeitgeber als auch von Seiten der Arbeitnehmer.

 

Also wie so ein Ausbuchstabieren, was vielleicht früher die autoritäre Führungsperson gemacht hat und das Ergebnis dann allen zugänglich machen?
Ja genau. Und noch was: Die Person auch gründlich einarbeiten. Sich wirklich Zeit nehmen für das Onboarding. Das habe ich oft unterschätzt, unterschätze ich teilweise immer noch. Das braucht einfach Zeit, den Leuten ihren Job beizubringen. Dazu muss ich sagen: Wir haben flache Hierarchien, weil wir so klein sind, aber sie sind auch nicht so krass flach. Das Entscheidende bei uns ist mehr diese Kultur des Miteinanders.

 

Was hat Dich zu der Führungsperson gemacht, die Du bist?
Ich glaube tatsächlich dieses eine Buch von Götz Werner, seine Biografie und darin das Menschenbild, das fand ich echt gut. Und meine eigene Erfahrung: Ich war vorher Azubi, dann Studentin und dann plötzlich Chefin. Also ich war entweder ganz unten oder ich war halt Chefin. Krasser Sprung. Und dadurch weiß ich gut, was unten ätzend ist: Wenn ich nicht lernen darf, einfach nur absitzen muss, nicht mitreden kann. Ich hatte ganz viele negative Beispiele wo ich wusste, dass ich die besser machen würde. Und im ersten Jahr hab ich einfach ganz viele Fehler gemacht und aus ihnen gelernt. Zum Beispiel, dass ich nur Leute eingestellt habe, wo ich wusste, mit denen will ich gerne befreundet sein, anstatt da professioneller zu sein.

 

Was ist für dich die größte Herausforderung beim Thema Führen?      
Die größte Herausforderung war den Leuten mehr Aufgaben zu geben, ohne zu sagen „Entschuldigung, könntest du bitte diesen einen Text hier Korrekturlesen, wenn das für dich ok wäre?“. Sondern: „Hey, bitte lies diesen Text Korrektur, das hat Prio 2!”  Das ist ein Unterschied.  Das war am Ende des Tages eine Übungssache, und wichtig. Selbstverständlich zu Delegieren.  Auch das Vertrauen zu haben und abgeben zu können. Da kenne ich ganz viele Unternehmer die das bis heute nicht gut können, gut zu delegieren und immer noch Klein-Scheiß selber machen und sich damit aufhalten. Das habe ich über die Zeit einfach geübt. Ich war am Anfang eher unsicher als Person, wenig Selbstbewusstsein, und dann mit der Zeit wurde es halt besser, als ich älter wurde.. Aber auch durch die Übung, weil ich dann viele Mitarbeiter hatte. Wenn man 30 Mal eine Aufgabe abgibt und merkt, es tut niemandem weh, dann lernt man es einfach. Ich glaube gerade Frauen brauchen andere Trainings oder Coachings, weil sie noch mehr dieses haben „Tschuldigung, wenn es dir nichts ausmachen würde.. könntest Du vielleicht?“. Ich hatte eine Coachingstunde genau zu diesem Thema, die hab ich auch gebraucht, um diesen normalen Ton zu finden: Es ist keine Bitte, es ist eine Aufgabe, und trotzdem nicht wie beim Militär. Mach das jetzt!           

 

Welche Probleme und Fragen sind Dir zum Thema Führen begegnet?  
Konsequenzen, wenn etwas nicht funktioniert. Also wenn meine Mitarbeiterin zum vierten Mal eine Aufgabe verkackt hat. Und ich weiß, dass die Konsequenz sein könnte, sie abzumahnen. Und wenn das gleiche noch mal passiert, dann müsste sie gehen. Ich möchte aber, dass die Person bleibt, der diese Sache die passiert ist, ich finde sie sonst großartig und würde sie nie verlieren wollen. Auch nicht wegen einer Sache, die sie verbockt hat. Und trotzdem die Ernsthaftigkeit zu kommunizieren: Es kann nicht sein, dass ich dich gerade zum vierten Mal um eine Sache bitte und das da auch wieder untergegangen ist. Also Ernsthaftigkeit ohne Feuern. Ich möchte die Leute nicht in diese Situation bringen, dass sie denken, sie verlieren ihren Job. Das macht diese existenzielle Angst, das geht richtig rein und das kann, wenn man es zu oft macht, auch das Vertrauen erschüttern. Das möchte ich nicht. Das ist das, was mir Schwierigkeiten bereitet. Auch: Wir arbeiten zwar nicht mit Deadlines und trotzdem wollen wir irgendwann fertig werden. Und da hinterher zu sein, ein bisschen Druck zu machen. Zu sagen: „Jetzt komm, wir legen mal los, wo liegt denn das Problem?“

Das merke ich auch bei mir selber. Ich bin manchmal zu schnell mit loslegen, und habe zu viele Bereiche auf einmal. Aber trotzdem: „Done Is Better Than Perfect.“ Den anderen zu sagen, es ist ok, der Status reicht. Also zu vermitteln: Werde mal fertig, oder fang überhaupt mal an, es muss nicht perfekt sein. Das zu vermitteln ist manchmal schwierig.

           

Und es ist schon mal passiert dass jemand nicht passt, entweder von der Performance oder von den Werten und du ihn oder sie eigentlich entlassen müsstest?      
Ich habe schon viele Leute entlassen. Das ist nicht das Problem, es gibt bestimmte Leute die ich nicht feuern will wegen Kleinigkeiten, weil ich sie ansonsten so schätze. Es macht keinen Spaß, aber ich kann es nur immer wieder wiederholen: Lieber früher feuern als später. Schlecht Stimmung, mehr Fehler, also ja Feuern gehört dazu, es ist echt ein Scheißwort. Auch wenn jemand kündigt – früher hab ich das persönlich genommen, heute sehe ich das eher so, es kann immer sein, dass man sich weiterentwickelt und das ist ok. Es gibt Vollbeschäftigung in Berlin und man findet immer einen Job.

                      

Wenn du global nochmal guckst, wie du führst, was würdest du sagen funktioniert richtig gut?     
Vorleben. Das ist ganz wichtig. Gut funktioniert auch unser Mitarbeiter*innen-Handbuch. Wo wir nochmal schriftlich erklären, wie wir das machen mit Krankheit und anderen Sachen. Das dient am Anfang dazu, dass das Onboarding erfolgreich ablaufen kann. Die neuen Mitarbeitenden bekommen Arbeitszeit, um sich das durchzulesen. Das ist essenziell, damit sie wirklich alles verstehen. Selbst bei einem kleinen Team lohnt es sich, so etwas zu haben.

Wir haben außerdem einen wöchentlichen Newsletter, wo nach dem Jour Fix eine Person zusammenschreibt, was gerade in den Bereichen aktuell ist. Und wenn man den nicht liest und nicht informiert ist, ist man selber schuld. Wenn man ihn liest, dann ist man halt auf dem Laufenden, was so passiert.

 

Wo sieht du in der aktuellen  New Work/ New Leadership/ Flache-Hierarchien-Debatte die größten Herausforderungen?
Es ist krass zeitaufwendig und daher teuer. Also für uns als kleiner mittelständischer Betrieb - ich würde am liebsten Förderung dafür haben. Ich weiß, dass es viel bringt. Aber es kostet Zeit, es kostet viel Geld. Das ist richtig, richtig teuer und das findet nirgendwo Erwähnung und das finde ich problematisch. Die positiven Effekte davon sind natürlich toll. Die Qualität wird besser, weil die Mitarbeitenden mehr mitbestimmen und viel besser entscheiden können, was in ihrem Bereich sinnvoll ist. Beispiel: Wir wollen eine Reinigungs-Ecke im Laden aufstellen. Bevor ich das jetzt entscheide, wo das hin soll, lasse ich das lieber die Mitarbeitenden entscheiden.

Außerdem gibt es Leute die mit New Work nichts anfangen können. Und es ist schwierig, wie man Hilfskräfte da integriert. Das die sich auch diese Zeit nehmen, in eine bestimmte Arbeitskultur rein zuwachsen. Dann wechseln sie wieder und dann muss man wieder von vorne anfangen. Also das sind immer wieder neue Kosten, neuer Aufwand.        

Langfristig zahlen sich diese Investitionen in die Mitarbeitenden aus. Das sehe ich auch heute schon. Die Leute besser arbeiten besser, passen besser auf sich auf, sind weniger krank, fluktuieren weniger, arbeiten länger hier. Wenn sie gehen, dann eigentlich nur noch, weil sie in Elternzeit gehen. Und einfach dieses Zufriedenheitslevel und das man eine gute Atmosphäre hat, gerne zur Arbeit geht . Solche kleinen Sachen machen alles aus.